Der freie Wille

(Christian Holzapfel)

 

    Unser Handeln und Tun wird immer von Motiven und innerem Treiben gesteuert. Wenn wir „frei wählen“, dann „wählen“ wir die Handlung aus, zu der wir am stärksten getrieben werden.
     Die einfachsten Lebewesen, Bakterien etwa, werden durch Signale von der Umgebung gesteuert. Licht von einer Seite kann einen Impuls zur Bewegung auslösen. Ebenso kann ein pH-Gradient eine Bewegung auslösen. In solchen einfachsten Fällen löst ein Signal von außen, ein einfaches Motiv, eine Handlung aus.
     Treffen nun zwei derartiger Signale auf ein solches Lebewesen, dann muß es sich unter Umständen – wenn die beiden Signale einzeln gegenteilige Handlungen auslösen – für eine der beiden Antworten d.h. Handlungen „entscheiden“. Es wird sich nach dem am stärksten empfundenen Signal entscheiden.
     Bei höheren Lebewesen, d.h. Lebewesen mit mehreren Signal-Antwort-Systemen, werden diese sich ebenfalls bei mehreren Signalen nach dem stärksten Signal richten, wenn die Signale einzeln gegenteilige Handlungen auslösen.
     Die Evolution hat im Laufe der Jahrmillionen ein vielfältiges Signal-Antwort-System aufgebaut, das uns als Motiv-Handlung-System erscheint, auch beim Menschen. Ich richte mich nach dem Motiv, das auf mich den stärksten Einfluß ausübt. Das ist es, was ich als freien Willen empfinde, denn, müßte ich mich aus welchen Gründen auch immer nach einem Motiv richten, das auf mich einen schwächeren Einfluß ausübt, hätte ich das Gefühl, nicht nach meinem freien Willen handeln zu können.
     Im Prinzip sollten schon zwei Motive das subjektive Gefühl erzeugen, einen freien Willen zu haben. Schon einfache Lebewesen, Pantoffeltierchen o.ä., müssen sich entscheiden, in welche Richtung sie sich fortbewegen wollen. Bei solch einfachen Lebewesen spielt die Stärke des ausschlaggebenden Motivs die entscheidende Rolle. Ob das dem Lebewesen bewußt wird, hängt ab vom Entwicklungsgrad des Bewußtseins und vor allem des Selbstbewußtseins.
     So entsteht bei höher entwickelten Lebewesen, bei Primaten, vor allem beim Menschen, das subjektive Gefühl, frei entscheiden zu können durch die Parallelentwicklung der Komplexität der Datenverarbeitung bei der Motivverarbeitung und beim Bewusstsein und Selbstbewusstsein.
     Der Unterschied zum Computer, auch wenn er noch so komplex gebaut ist, liegt darin, dass der Computer keinen Motiven ausgesetzt ist. Der Computer hat keine Wünsche.
     Die Vielfalt der Motive, die wir bewußt oder unbewußt durchstöbern, um unsere Handlung auszurichten, täuscht uns einen „freien Willen“ vor. Jedoch ohne diese Vielfalt wäre unser Handeln nur durch den Zufall bestimmt, also auch nicht frei; das wäre der Fall, wenn wir hören: „Ich weiß nicht, warum ich das getan habe.“
     Wie man sieht, muß man sich erst darüber im Klaren sein, was man unter „freiem Willen“ überhaupt versteht.
     Wähle ich frei, entscheide ich mich bewußt gegen ein starkes Argument, dann nur, weil ein noch stärkeres Motiv oder gar ein Trieb – was wir womöglich gar nicht wahrnehmen – uns dazu führt. Wollen wir uns keinem dieser Motive unterwerfen, müssen wir würfeln und unser Handeln dem Zufall überlassen, und das wäre auch kein freier Wille. Auch dann ist das Motiv, wir wollen uns nicht dem Zwang der Motive unterwerfen, wir wollen es dem Zufall überlassen. Das Steuern unser Tun und Handeln von Motiven und Trieben mit dem Ausschlag nach dem stärksten Motiv, das gibt uns das Gefühl des freien Willens, das ist der freie Wille.
     Es bleibt noch für jeden einzelnen die Frage, sind die Motive eigene Motive oder sind sie fremd gesteuert z.B. durch Drohung oder Verführung. Es ist die Befreiung von fremden Motiven, die den eigenen freien Willen hervorbringt.
     Damit entsteht aber auch die Frage, wie können wir dann jemanden für seine Taten verantwortlich machen? Wie sieht es aus mit unserer eigenen Verantwortung?
     Hier kommt nun die Erkenntnis ins Spiel, sowie auch die Selbsterkenntnis.
     Wenn wir absehen können, wie sich unser Handeln auswirkt, dann gehören die Konsequenzen unserer Tätigkeit auch zu den Motiven, die unser Handeln bestimmen. Hier können wir die Verantwortung für unser Handeln finden. Die Verantwortung wächst mit der Fähigkeit, die Konsequenzen unseres Handelns abzusehen.
     Jeg retter mig efter det motiv, som har det stærkeste indtryk, den stærkeste virkning paa mig. Det er det jeg fornemmer som fri vilje, thi måtte jeg rette mig efter et motiv, som havde mindre indtryk paa mig måtte jeg ha’ fornemmelsen af at jeg ikke kunne vælge frit.

 

    (Oktober 2017)